MaerzMusik – Festival für Zeitfragen versteht sich als ein Ort des Austauschs von künstlerischem Wissen durch neue Begegnungen und geteilte Erfahrungen. Entwickelt aus der Multimodalität des Hörens, der zeitgenössischen Musik und des Klangs, öffnet das Festival mit Konzerten, Performances, Installationen, Musiktheater, Filmvorführungen und Diskursformaten einen Raum, in dem Leben, Kunst und Theorie neben- und miteinander bestehen können.
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MaerzMusik
Berliner Festspiele Schaperstraße 24 D-10719Berlin
Nandita Kumar: From Paradigm to Paradigm, Into the Biomic Time
Die in der daadgalerie ausgestellte Installation von Nandita Kumar (Fellow Musik & Klang 2022) erinnert spielerisch an eine Zeitungspresse, die in einer Endlosschleife feststeckt. Die Arbeit kommentiert das ständige Wiederkäuen von falschen und manipulativen Fakten, mit denen Einzelpersonen und Organisationen die öffentliche Meinung beeinflussen, um ihre eigenen Interessen zu schützen. Sie ist eine Mahnung, dem Echo der Geschichte genau zuzuhören und die unstimmigen Töne der Vergangenheit nicht gedankenlos nachzuspielen.
Angesichts der Herausforderungen und ökologischen Folgen des Klimawandels beschäftigt sich Nandita Kumar mit der Diskrepanz zwischen dem Wissen von Wissenschaft, Politik und breiter Bevölkerung. Während Fake News die Klima- und Umweltwissenschaften seit Jahrzehnten plagen und den „Fortschritt“ verlangsamen oder ganz zum Erliegen bringen, haben die Informationsflut, die Komplexität und der Mangel an Bedeutung dazu geführt, dass sich die Menschen zu ängstlich und machtlos fühlen, um einen echten ökologischen Wandel zu bewirken.
Kumars Arbeit dekonstruiert die politische Rhetorik im Zusammenhang mit verschiedenen Umweltthemen, indem sie Aussagen von einflussreichen Einzelpersonen, PolitikerInnen und Organisationen zusammenstellt. Unter Verwendung ebenjener Methoden von Datenmanipulation und Fake News wurden die Aussagen durch einen „Haiku“-Generator umgewandelt, der per Algorithmus zu jeder unwahren Aussage ein Gedicht erstellt. Die daraus resultierenden einundneunzig Haikus, die einen musikalischen Code bilden, werden in einer etwa zwölf Meter langen Partitur für Pianola wiedergegeben. Eine digitale Begleitpublikation ermöglicht den Besuchenden, jedes der Gedichte mit seiner ursprünglichen Aussage in Verbindung zu bringen, während weiterführende Essays die Wahrheit hinter diesen Unwahrheiten erläutern.
Die Klanginstallation wurde kollaborativ während Kumars Aufenthalt im Rahmen des Berliner Künstlerprogramms des DAAD entwickelt und umfasst fünf Klangreisen, die die Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Leere repräsentieren. Sie gipfelt in einer Performance, bei der die Haikus zusammen mit dem Pianola vorgetragen werden, sowie einer Collage aus gefundenen Klängen und live entstehender Geräuschemacherei aus Müll und recycelten Objekten.
„Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ – Mark Twain
Mit:
Merche Blasco, Christian Kesten, Felicity Mangan, Alex Nowitz, Ute Wasserman
Projektentwicklung
Pooja Das, Mitrecherche & Koautorin (Publikation)
Tim Rutherford Johnson, Lektorat der Buchpublikation
Priyanka Tagore, Haiku-Redakteurin
Shikha Usgaonker, Grafikdesign
Subhadeep Biswas, Technik
Matt Gingold, Pianola-Code
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Bewertungen & Berichte Nandita Kumar: From Paradigm to Paradigm, Into the Biomic Time
Forschung
Breaking out of Silence
Stimmen des Widerstands von den Philippinen
Lakbayan ist eine philippinische „Strategie des Protests, ein Organisationsinstrument, eine Propagandamaschine und ein Lobbymechanismus“ (Mong Palatino). Es handelt sich dabei um die landesweite und massenhafte Mobilisierung von bäuerlichen Bewegungen, indigenen Bevölkerungsgruppen und anderen Teilen der Gesellschaft, die sich jährlich in der Hauptstadt versammeln und der Regierung ihre Forderungen unterbreiten. Inspiriert von dieser Tradition präsentiert Dang A Dang Radio eine Sammlung von philippinischer Protestmusik und klanglichen Ausdrucksformen des Widerstands. Dieses Archiv wird anhand von „Listening Stations“ aus Tonaufnahmen, Text und visuellem Material zugänglich und erfahrbar gemacht.
Während eines Lakbayan ziehen Massen organisierter Bäuerinnen und Bauern, indigener Menschen und Landarbeiter*innen von den Peripherien in die Hauptstadt, um der Regierung ihre Forderungen vorzulegen. Wichtige Anliegen sind hierbei die Vertreibung indigener Bevölkerungsgruppen durch in- und ausländische Plünderung, Fragen der Ernährungssicherheit und anderer lokaler Herausforderungen, die Forderung nach der Wiederaufnahme von Friedensgesprächen sowie die Militarisierung und die Angriffe auf die ländliche Bevölkerung. Diese Proteste machen die gleichgültige Haltung der Regierung gegenüber diesen Themen eindrücklich deutlich.
Ein einmonatiger Marsch und Meeresüberfahrten tragen die ländlichen Proteste in entfernte Gemeinden, in denen die Bewegung vielleicht noch sehr schwach ist, und führen zu möglichen neuen Bündnissen und Unterstützer*innen, die „Informationen, Vorräte und Logistik“ bereitstellen können. Die Zeltlager in der Hauptstadt werden zu Orten für Bildung und materielle Unterstützung sowie zur „Bühne“ für politische Aktionen.
Inspiriert von dieser Tradition präsentiert Dang A Dang Radio „Lakbayan: Voices of Resistance from the Philippines“, eine Sammlung von Protestmusik und klanglichen Ausdrucksformen des Widerstands von den Philippinen. Dieses Archiv wird anhand von „Listening Stations “ aus Tonaufnahmen, Text und visuellem Material zugänglich gemacht, wodurch sich die Protestgeschichte des Landes erfahren lässt.
Die Ausstellung präsentiert eine generationenübergreifende Auswahl an Klangdokumenten, die von den Klassikern des First Quarter Storm Movement bis zur aktuellen Generation von Aktivist*innen und Musiker*innen reicht. Begleitet wird das akustische Material von Hintergrundinformationen und Kontextualisierungen durch Liederbücher, Plattencover, Plakate und Fotos aus der Sammlung von Dang A Dang Radio und anderen progressiven Organisationen.
Ganz im Sinne des Lakbayan wird auch die Ausstellung die Zeugnisse der Kämpfe aus den Peripherien „transportieren“ – nicht als Bitte um Gnade, sondern als Aufruf zur Solidarität.
Die Ausstellung zeigt die im Archiv gesammelten Themen sowie die Art, wie diese sich in der Musik und anderen Klangformen äußern. So soll nicht nur die Verschlechterung der Lebensbedingungen und die Unterdrückung gezeigt, sondern vor allem der Sound von widerständigen Bewegungen erfahrbar gemacht werden, die an Einfluss gewinnen und durchaus politische Macht ausüben.
Eintritt frei
Dauer
Sa, 18.3.2023 - So, 9.4.2023, 14:00
Ort
SAVVY Contemporary
Reinickendorfer Str. 17
D-13347 Berlin
Die diesjährige Festivalausgabe lädt täglich ab 14:00 Uhr zu offenem Austausch und persönlichem Studium in die „Library of MaerzMusik“ ins Festspielhaus ein. In dieser modularen Festivalbibliothek tauschen Komponist*innen, Künstler*innen und Autor*innen Ideen aus, geben Einblicke in ihre Arbeitspraxis und teilen ihr Wissen in interaktiven Formaten, Vorträgen und künstlerischen Interventionen. Weitere Informationen über das Bibliotheksprogramm werden in Kürze bekanntgegeben.
Eintritt frei
Dauer
So, 19.3.2023 - So, 26.3.2023, 14:00
Ort
Berliner Festspiele
Oberes Foyer Schaperstraße 24
D-10719 Berlin
Jakob Ullmann, Komposition
PHØNIX16
Timo Kreuser, Künstlerische Leitung
Carlo Grippa, Tonmeister
Diese Arbeit ist Teil der Reihe „Grenzraum HÖREN“, einem umfangreichen multisensorischen Programm, das von PHØNIX16 und Timo Kreuser entwickelt wurde und sich mit den Werken zweier Komponist*innen auseinandersetzt: Jakob Ullmann und Pauline Oliveros. Beide haben auf je eigene Weise ein besonderes Verhältnis zum Hören, zu den für die Ohren unhörbaren Klangphänomenen und zu weiteren akustischen Informationen, die durch das Hören gewonnen werden, entwickelt.
10 / ermäßigt € 7
Erhältlich im Tagesticket 24.3.sowie im Package „voice, books and FIRE II“
Termin
Fr, 24.3.2023, 18:00
Ort
Berliner Festspiele
Große Bühne Schaperstraße 24
D-10719 Berlin
Lucia Dlugoszewski (1925-2000)
Exacerbated Subtlety Concert (Why Does a Woman Love a Man?)
für timbre piano (1997/2000)
Tan Dun (*1957)
C-A-G-E, fingering for piano (1994)
Philip Corner (*1933)
Toy Piano (2012)
ch roma tika (2022), Uraufführung
Man in Field (the sound as “Hero”) (2020)
Small pieces of a Fluxus Reality (2018)
A really lovely piece made for & by Agnese (2019)
Space is a Diamond
Jing Wang (*1992)
Yan
für Muschelhorn solo (2016)
Tamara Miller (*1992)
na rua – uma bola e um sol pobre – revira no lixo
für Trompete und Schlagzeug (2022)
Hans-Joachim Hespos (1938-2022)
li-lá
für zwei Alphörner (1996)
Lucia Dlugoszewski
Space is a Diamond
für Trompete solo (1970)
Hans-Joachim Hespos
Ruhil
für Kornett, Tenortuba und Bassposaune (1985)
Mazyar Kashian (*1991)
Rondo de facto
für einen Kieselstein (2020)
Lucia Dlugoszewski
Tender Theatre Flight Nageire
für Blechbläserquintett und Orchester mit erfundenen Schlaginstrumenten (1971, rev. 1978)
„Ich wollte dem Ohr dabei helfen, den Klang um seiner selbst willen zu hören.“ Die Komponistin Lucia Dlugoszewski im Fokus: Agnese Tonuitti und das Ensemble Musikfabrik enthüllen klingende Welten von unerwarteten Texturen und Resonanzen.
Subtle Matters – Lucia Dlugoszewski, Tan Dun, Philip Corner, Agnese Toniutti
Für Agnese Toniutti ist Tan Duns „C-A-G-E, fingering for piano“ (1994) eine Komposition von solch umfassender imaginärer Klangqualität. Durch den Einsatz sogenannter erweiterter Spieltechniken verwendet Dun das Klavier wie ein traditionelles chinesisches Instrument, wobei er in westlicher Kompositionstradition jedem Buchstaben des Namens Cage eine Tonhöhe zuordnet.
Toniuttis Begegnung mit dem Werk von Lucia Dlugoszewski hat eine längere Vorgeschichte. Am Anfang stand eine lange Recherche in Italien anhand eines bloßen Namens, ausgelöst durch einen geheimnisvollen Hinweis auf eine Erfindung der Komponistin: das „Timbre-Piano“. Noch dazu war Dlugoszewskis Musik nicht einmal schriftlich fixiert. Toniutti orientierte sich also an der Aufnahme von „Exacerbated Subtlety Concert (Why Does a Woman Love a Man?)” (1997/2000) der Komponistin selbst, um eine eigene Transkription anzufertigen. Weitere Informationen entnahm sie anderen Partituren für Timbre-Piano und den Schriften Dlugoszewskis.
Philip Corners verbale Hinweise und grafische Partituren wiederum, die aus einer präzisen musikalischen Vorstellung heraus entstanden, erfordern von der Pianistin auf andere Art das Vordringen in neue Bereiche, indem sie hier auch kompositorische Entscheidungen treffen muss.
Space is a Diamond – Lucia Dlugoszewski, Jing Wang, Tamara Miller, Hans-Joachim Hespos, Mazyar Kashian, Ensemble Musikfabrik
Neben Agnese Toniutti widmet sich auch das Ensemble Musikfabrik der Musik von Dlugoszewski. Eine ihrer bekanntesten Kompositionen ist „Space is a Diamond“ – ein lyrisches und zugleich impulsives Stück, das diverse experimentelle Spieltechniken enthält, ein Trompetensolo mit schnellen Dämpferwechseln, gleichzeitigem Singen und Blasen und virtuosen Passagen. Zur Entstehungszeit im Jahr 1970 war Dlugoszewski 45 Jahre alt: „Ich wollte dem Ohr dabei helfen, den Klang um seiner selbst willen zu hören.“
Über ihr Werk „Tender Theater Flight Nageire“ schrieb die Komponistin: „Das erste Anliegen aller Musik ist es, auf irgendeine Weise die Gleichgültigkeit des Hörens, die Gefühllosigkeit der Empfindung zu erschüttern, und jenen Moment der Befreiung zu schaffen, den wir Poesie nennen, unsere Erstarrung zu lösen, sodass wir wie neugeboren erscheinen – als würden wir zum ersten Mal hören. ‚Tender Theater Flight Nageire‘ ist eine Reihe musikalischer Rituale, die auf den poetischen Wurzeln erotischer Erfahrung basieren.“
20 / ermäßigt € 15
Erhältlich im Tagesticket 24.3.
Termin
Fr, 24.3.2023, 20:00
Ort
Berliner Festspiele
Große Bühne Schaperstraße 24
D-10719 Berlin
Rebecca Saunders (*1967)
The Mouth (2020)
für Sopran und Tonband (2019/2020)
Deutschlandpremiere
Juliet Fraser demonstriert in diesem Konzert ihre stilistische Vielseitigkeit mit drei Kompositionen, die eigens für sie und ihre Stimme geschrieben wurden. Dabei stellt jedes Stück unterschiedliche kompositorische Ansätze für die menschliche Stimme vor.
Die Arbeit „Tracery : Hardanger“ der Komponistin Cassandra Miller und der Sopranistin Juliet Fraser erforscht eine Form des „automatischen Singens“. Zu Beginn der Aufführung sitzt Fraser auf der Bühne und hat Kopfhörer auf, über die sie einen „gesteuerten Track“ hört – und dann meditiert sie. Ein anderer Track mit ihrer zuvor aufgenommenen Stimme wird vom Tonband in den Raum eingespielt. Wie das Stück klingen wird, ist nicht vorhersehbar. Es ist eine Musik des Kommens und Gehens, des Zusammen- und Alleinseins, eine moderne Interpretation von Folklore, da das Ausgangsmaterial vor allem aus Traditionen stammt, die nicht auf Notation beruhen. So basieren die ersten Module auf zwei traditionellen Melodien der norwegischen Hardangerfiedel. „Tracery : Hardanger“ entstand in enger Zusammenarbeit zwischen der Komponistin Miller und der Interpretin Fraser. Das Werk ist Teil eines Langzeitprojekts, das mehrere einzelne, jedoch miteinander verbundene Stücke hervorgebracht hat, die mit der Freiheit und Verletzlichkeit des*der Performer*in auf der Bühne experimentieren und traditionelle Vorstellungen von Performativität und „Gesanglichkeit“ in Frage stellen.
Auf dem Programm steht außerdem die Komposition „While we are both“ von Lawrence Dunn, die auf einem Gedicht von Caitlín Doherty basiert. Das Werk selbst ist eine Art metamorphische Verwandlung von Klangtexturen und beschäftigt sich „mit den Grenzen der Kommunikation und […] den Möglichkeiten – und Unmöglichkeiten – der Beziehung zu anderen Menschen.“ Der Titel bezieht sich auf den Vers „while we are both awake“, denn die Protagonist*innen sehnen sich nach Schlaf.
Mit Rebecca Saunders’ „The Mouth“ erforscht Fraser die Schwelle zwischen zwei Welten: der inneren und der äußeren, der inneren und der klingenden Stimme. Das Werk untersucht dabei die große Bandbreite an Farben und Klängen, die in der Mundhöhle natürlicherweise entstehen, denn der Mund (engl. „the mouth“) repräsentiert diese Schwelle. Laut der Komponistin Saunders fragt die Arbeit: „Was ist diese innere Stimme, was wird dort unterdrückt und zurückgehalten, was fließt da unter der Oberfläche? Und was kann eigentlich gesagt werden? Kann überhaupt etwas gesagt werden?“ Der Text wurde neben der Musik von Saunders verfasst und enthält bewusstseinsstromhafte Rezitationen mit gelegentlichen Momenten klarer Artikulation. Der raumbezogene, elektronische Part setzt sich aus Aufnahmen von Frasers Stimme zusammen, in die vereinzelt auch die Stimme der Komponistin einfließt.
Riot Ensemble
Alex Paxton, Posaune solo
Aaron Holloway-Nahum, Dirigent
Programm:
Bára Gísladóttir (*1989)
Animals of your Pasture
für Ensemble (2021)
Oliver Thurley
the heart is a knot
für Kontrabass („entangled“)
for Marianne, quietly, a soft glaze. (2021)
Bethan Morgan-Williams (*1992)
Gêmdis (2020)
Alex Paxton (*1990)
Neue Arbeit im Auftrag von Berliner Festspiele / MaerzMusik
Uraufführung
Spielerisch, vielseitig, poetisch: Das Riot Ensemble präsentiert vier Kompositionen von Bára Gísladóttir, Bethan Morgan-Williams, Alex Paxton und Oliver Thurley.
Der Ausgangspunkt für Bára Gísladóttirs „Animals of your Pasture“ ist die Idee, dass alle existierenden Tierarten gemeinsam in einer Herde leben, die als eigenständiger Organismus funktioniert. Die Komposition spielt mit der Vorstellung, diese Herde in verschiedenen Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln und Einstellungen (Nahaufnahme, extreme Totale, scharf, unscharf, fragmentarisch, in Zeitlupe …) zu beobachten: beim Laufen durch endlose Prärien, beim Kämpfen, Tanzen, Schlafen oder Singen. Dieses Konzept ist mit dem unbestimmten Gedanken verwoben, dem Chaos zu erlauben, chaotisch zu sein – ohne Kontrollinstanz und ohne den Versuch, etwas zu strukturieren oder zu systematisieren, das einfach existiert. Der Titel des Werks sowie die Bezeichnungen zweier Sätze sind Hilda Hilsts Buch „With my Dog-Eyes“ entnommen, von dem Gísladóttir beim Komponieren des Stücks stark beeinflusst war.
Oliver Thurleys „the heart is a knot“ verkörpert Beklemmung, zarte Berührung, die Struktur eines Körpers und Streicherbogens sowie weich gezogene, harmonische Linien. Die Aufführung konzentriert sich auf die mikroskopischen Details und Grenzen einer instabilen Harmonik. Kontrabassistin Marianne Schofield verfängt sich in Momenten von Reibung, Erschütterung, Turbulenzen und der Textur eines sich mit dem Instrument bewegenden Körpers. Das Stück ist geprägt von Ruhe und in dem Raum zwischen dem Ende des Griffbretts und dem Steg angesiedelt. Die Tonhöhen sind in der Partitur nicht explizit notiert. Stattdessen fungieren Tonhöhenzonen als Bereiche, in denen verschiedene stabile, instabile und tote Punkte durchlaufen werden können. Für jede Saite wird dieser Raum in drei ungefähre Zonen unterteilt: tief, mittel und hoch.
Im Titel ihrer Arbeit „Gêmdis“ verknüpft Bethan Morgan-Williams die walisischen Wörter für Spiel und Würfel. Das Werk durchläuft eine Reihe unterschiedlicher Stimmungen, von denen einige zyklisch wiederkehren und so die Grundstruktur des Stücks markieren. Es gibt fünf „Anfänge“. Dieses Anfangsmaterial ist hektisch und wild, wird allerdings von einer spielerischen und fragileren Version seiner selbst abgelöst. Wie sich dieses zarte, giocoso-hafte Material entwickelt, verhält sich jedes Mal anders. Manchmal driftet es einfach ab, dann wieder wächst es zu einer neuen und eigenständigen „Substanz“ heran. Diese neu entwickelten „Substanzen“ stellen verschiedene Möglichkeiten in Bezug auf das Ausgangsmaterial dar und geben dem Stück als Ganzem Raum und Tiefe.
Alex Paxton und das Riot Ensemble arbeiteten erstmals im Rahmen eines gemeinsamen Auftrags für „Shrimp BIT babyface“ bei Klangspuren Schwaz 2022 zusammen. Daran anknüpfend werden das Riot Ensemble und Paxton nun erstmals gemeinsam auf der Bühne stehen. In diesem neuen Auftragswerk für MaerzMusik 2023 wird Paxton selbst als Solist auftreten und die instrumentalen Möglichkeiten des Riot Ensemble in vollem Umfang ausnutzen (zwei Schlagzeuger, drei Keyboards), um eine Kaskade aus Live- und elektroakustischen Klängen aufzubauen, die die gewohnte Energie und die virtuosen Anforderungen seiner Musik unterstützen.
20 / ermäßigt € 15
Erhältlich im Tagesticket 25.3.
Korhan Erel (*1973)
Losing Track in Four Movements (2022)
Bernhard Lang (*1957)
DW30: Loops für Klaus Schulze (2017)
Das Synthesizer-Trio lange//berweck//lorenz entspinnt mäandernde, farbenreiche Welten und präsentiert das „Falter-Lamento“ und eine neue Auftragsarbeit von Asmus Tietchens, Werke von Andrea Neumann und Korhan Erel aus ihrem Projekt „Soundtracking“, das ein neues Zusammenspiel von Komposition und Interpretation in den Blick nimmt, sowie Bernhard Langs Hommage an einen Pionier der elektronischen Musik.
Asmus Tietchens ist einer der bekanntesten deutschen Künstler*innen der abstrakten Musik. Neben der neuen Auftragskomposition „pseudo topos“ präsentiert lange//berweck//lorenz das „Falter-Lamento“ von seiner allerersten LP „Nachtstücke“, die bei ihrer Veröffentlichung 1980 einiges Aufsehen erregte: Sie erschien fast zwei Jahre später als ursprünglich geplant, trug einen unautorisierten Untertitel und ein völlig anderes Cover. Eigentlich sollte das Albumcover einen ledernen Embryo zeigen, durch dessen Auge ein Laserstrahl schießt, doch schließlich tanzten drei verschwommene Figuren auf der Hülle. „Nachtstücke“ hat wenig mit dem „Pseudo-Pop“ der darauf folgenden Sky-Phase gemein, sondern wirft ein Licht auf die düsteren, gespenstischen Aspekte von Tietchens’ späteren Arbeiten. Bei der Veröffentlichung fiel das Album mit seiner „sanften Rhythmik und der harmonischen Seligkeit“, so Tietchens, völlig aus der Zeit. „Falter-Lamento“ vermeidet Dissonanzen, plötzliche Akzente und jede Form von Brachialität. Das repetitive Anfangsmotiv schwebt taumelnd durch die Klangwelten und lässt sich mal auf dem einen, mal auf dem anderen Grundton nieder.
Die Werke von Andrea Neumann und Korhan Erel stammen aus dem Projekt „Soundtracking“ des Trios, das ein neues Format der Zusammenarbeit zwischen Komposition und Interpretation erforscht. Neumann und Erel haben jeweils eine Tonspur – einen Soundtrack – erstellt, zu der Silke Lange, Sebastian Berweck und Martin Lorenz an den Synthesizern nach minimalen Vorgaben spielen. Beim Komponieren für Synthesizer stellt sich das Problem, dass eine spezifische Notation sich nur mit einem bestimmten Produkt/Instrument realisieren lässt. Und ist die Beschreibung der Klänge kategorisch, verliert sie ihre Präzision. Der Ansatz von lange//berweck//lorenz erlaubt es den Komponist*innen, mit ihrer gesetzten Tonspur präzise Einfluss auf das klangliche Resultat zu nehmen und die Strukturierung der Zeit zu gestalten. Die Tonspur soll eine Partitur in Schriftform weitgehend ersetzen. Sie gibt einen formalen Ablauf vor, zu dem die drei Musiker*innen mit ihrem Spiel klaren Konzepten folgen oder in unterschiedlichen Graden frei improvisierend agieren. Der Fokus der Interpret*innen liegt ganz auf einer hörenden Annäherung an die Kompositionen.
Für „Signale vom Rand“ hat Andrea Neumann Sounds von dem von ihr entwickelten Innenklavier und No-Input-Mixern aufgenommen. Der Audiotrack behandelt physikalische und elektronische Widerstände und Grenzsituationen. Er macht Signale hörbar und untersucht ihre verschiedenen Qualitäten. Bewusst wurden dabei der halltote Raum des No-Input-Mixers und der Hall des Innenklaviers nebeneinandergestellt und miteinander vernetzt. Die Sparsamkeit und das Rudimentäre des Tracks lassen Spielraum für lange//berweck//lorenz, diese Phänomene mit ihren Mitteln zu interpretieren.
Die elektronische Komposition „Losing Track in Four Movements“ ist eine Studie über die Entwicklung eines Tonbandstücks, das sowohl als Begleitung für improvisierende Musiker*innen als auch als eigenständiges Stück funktionieren kann. Die Arbeit verwendet sowohl synthetische Klänge als auch Improvisationsschnipsel auf Erels Instrument „Omnibus“. „Losing Track“ ist eine Anspielung auf den Kompositionsprozess, bei dem sich Erel einige Male verirrt hat, aber auch auf den Ablauf eines improvisierten Konzerts, bei dem sich die Musiker*innen bereitwillig „verirren“, um dann einen neuen, gemeinsamen Weg einzuschlagen.
Die Inspiration für seinen umfangreichen Zyklus „Differenz und Wiederholung“ (kurz: „DW-Zyklus“) fand Bernhard Lang bei Gilles Deleuze. Sein „DW30: Loops for Klaus Schulze“ entstand 2015 für das Trio lange//berweck//lorenz. Dafür hat Lang gemeinsam mit Berweck neue Notationsweisen entwickelt. Das Stück vermischt instrumentale Klänge, Stimme und Elektronik. Es ist eine Hommage an einen von Langs Helden: Klaus Schulze. Der Musiker, 1947 geboren, erforschte in den 1970er-Jahren die elektronischen Welten und gilt als Pionier elektronischer Musik. Für manche ist er sogar der Urvater von Techno, andere sehen in ihm den Erfinder von Ambient.
lange//berweck//lorenz: Nachtstücke / synthetic DNA 1 bewerten:
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Bewertungen & Berichte lange//berweck//lorenz: Nachtstücke / synthetic DNA 1
Performance
Nandita Kumar: From Paradigm to Paradigm, Into the Biomic Time
Diese Performance ist der Höhepunkt der Klanginstallation von Nandita Kumar , die sie während ihres Fellowships beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD kollaborativ entwickelt hat. Die Installation umfasst fünf Klangreisen, die die Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Leere repräsentieren. Bei der Live-Aktivierung am 26. März werden die Haikus zusammen mit dem Pianola vorgetragen, ergänzt von einer Collage aus gefundenen Klängen sowie Geräuschemacherei mit Müll und recycelten Objekten.
Mit:
Merche Blasco, Christian Kesten, Felicity Mangan, Alex Nowitz, Ute Wasserman
Christian Kesten Ko-Konzeption der Realisation
Merche Blasco, Christian Kesten, Felicity Mangan, Alex Nowitz, Ute Wassermann Ko-Konzeption & Performance
Nandita Kumar: From Paradigm to Paradigm, Into the Biomic Time bewerten:
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Performance
Grenzraum HÖREN 9
voice, books and FIRE II – Ullmann / PHØNIX16
Jakob Ullmann Komposition
PHØNIX16
Timo Kreuser, Künstlerische Leitung
Carlo Grippa, Tonmeister
Diese Arbeit ist Teil der Reihe „Grenzraum HÖREN“, einem umfangreichen multisensorischen Programm, das von PHØNIX16 und Timo Kreuser entwickelt wurde und sich mit den Werken zweier Komponist*innen auseinandersetzt: Jakob Ullmann und Pauline Oliveros. Beide haben auf je eigene Weise ein besonderes Verhältnis zum Hören, zu den für die Ohren unhörbaren Klangphänomenen und zu weiteren akustischen Informationen, die durch das Hören gewonnen werden, entwickelt.
15 / ermäßigt € 12
Erhältlich im Tagesticket 26.3.sowie im Package „voice, books and FIRE II“
Termin
So, 26.3.2023, 17:00
Ort
Berliner Festspiele
Große Bühne Schaperstraße 24
D-10719 Berlin
Electroacoustic and Experimental Electronic Works bewerten:
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Bewertungen & Berichte Electroacoustic and Experimental Electronic Works
1
MaerzMusik
Berliner Festspiele
17. bis 26.3.2023
MaerzMusik – Festival für Zeitfragen versteht sich als ein Ort des Austauschs von künstlerischem Wissen durch neue Begegnungen und geteilte Erfahrungen. Entwickelt aus der Multimodalität des Hörens, der zeitgenössischen Musik und des Klangs, öffnet das Festival mit Konzerten, Performances, Installationen, Musiktheater, Filmvorführungen und Diskursformaten einen Raum, in dem Leben, Kunst und Theorie neben- und miteinander bestehen können.
Kontakt
Berliner Festspiele
Schaperstraße 24
D-10719 Berlin